Als ich meinen ersten Soundwalk unternahm, geschah etwas Vertrautes und Fremdes zugleich: Die Straßen meiner Nachbarschaft, die ich tagtäglich im Vorbeigehen betrachtete, eröffneten plötzlich neue Schichten — entfernte Klimaanlagen summten wie ferne Meere, ein Kinderspielplatz arbeitete in rhythmischen Ausbrüchen, und eine Hundegruppe bildete eine flüchtige Perkussion. Seitdem suche ich immer wieder nach Wegen, diese unscheinbaren Klanglandschaften bewusst hörbar zu machen. Hier teile ich eine einfache Route und praktische Tipps für Anfänger*innen, damit auch Sie Ihre Umgebung neu hören und dokumentieren können.
Was ist ein Soundwalk und warum lohnt er sich?
Ein Soundwalk ist mehr als nur ein Spaziergang mit Aufnahmegerät: Es ist ein bewusst gelenkter Wahrnehmungsprozess. Man geht langsam, öffnet die Ohren und lässt die akustische Umwelt sprechen. Für mich ist der Soundwalk ein Werkzeug der Entschleunigung und der Neukonfiguration von Bekanntem — er verwandelt Alltagsgeräusche in erzählenswerte Texturen und ermöglicht synästhetische Verknüpfungen zwischen Bild, Klang und Gefühl.
Vorbereitung: Was Sie brauchen
Die Ausrüstung muss nicht teuer sein. Oft ist das, was Sie bereits haben, völlig ausreichend. Ich selbst arbeite je nach Projekt mit dem Smartphone, einem portablen Recorder und gelegentlich binauralen Mikrofonen.
- Smartphone: Moderne Smartphones (iPhone, Google Pixel, Samsung) verfügen über überraschend gute Mikrofone. Praktisch für spontane Walks.
- Handrecorder: Ein Zoom H1n oder Tascam DR-05 ist ideal für klarere Aufnahmen und externes Mikrofonanschluss.
- Binaurale Mikrofone: Für immersive, kopfhörerbasierte Erlebnisse. Empfehlenswert, wenn Sie Hörräume schaffen wollen.
- Kopfhörer: Geschlossene Kopfhörer helfen beim Monitoring; offene können die Wahrnehmung vor Ort verändern.
- Notizbuch oder Field-Recording-App: Notizen zu Zeit, Ort, Stimmung, Wetter und Bewegungen unterstützen die spätere Reflexion.
| Gerät | Vorteile | Nachteile |
|---|---|---|
| Smartphone | Immer dabei, unkompliziert | Begrenzte Klangqualität, Windempfindlichkeit |
| Zoom H1n | Gute Aufnahmequalität, günstig | Kein Windschutz standardmäßig |
| Binaurales Mikrofon | Immersive Wiedergabe | Teurer, erfordert Kopfhörer-Wiedergabe |
Die Route: Ein Beispiel für Ihre Nachbarschaft
Wählen Sie eine Runde von etwa 30–60 Minuten. Für den Anfang bevorzuge ich eine einfache Schleife, die verschiedene Mikrohabitaten abdeckt: Wohnstraße, kleiner Park, Marktstraße, Bahnübergang oder Baustelle, je nachdem, was in Ihrer Umgebung vorkommt. Hier eine Route, die Sie anpassen können:
- Start: Eine ruhige Wohnstraße — hören Sie auf Fußschritte, Türschließen, Heizungsluft.
- Weiter: Ein kleiner Park — Vögel, Kinderstimmen, Wind in den Bäumen.
- Zwischenstopp: Ein Café oder Marktplatz — Kassenpiepser, Tassenklirren, Gespräche (achten Sie auf Privatsphäre).
- Akzent: Eine Stelle mit Verkehr oder Bahn — rhythmische Motorengeräusche, Sirenen als zeitliche Marker.
- Rückweg: Ein Schoß mit Haus- oder Hinterhofgeräuschen — nahes, intimes Klangmaterial.
Techniken während des Walks
Die Haltung ist wichtiger als die Technik. Versuchen Sie, in drei Modi zu wechseln:
- Hören: Schließen Sie die Augen, atmen Sie und lassen Sie die Ohren scannen. Notieren Sie auffällige Ereignisse.
- Aufnehmen: Wählen Sie kurze Takes (10–60 Sekunden) statt Dauermitschnitten. Das spart Speicher und macht die Nachbearbeitung leichter.
- Interagieren: Manchmal ist ein leiser Dialog mit der Umgebung interessant — das Klopfen an eine Laterne, ein vorsichtiges Rascheln an einem Blatt; diese Gesten erzeugen akustische Kontraste.
Ein Tipp: Nutze die Lautstärkeänderungen als dramaturgische Achse. Nähe (Nahaufnahme eines Ventils, eines Gespräches) wirkt anders als Distanz (Fernverkehr, Wind).
Ethik und Respekt
Ich lege großen Wert auf Respekt: Menschen in der Öffentlichkeit aufnehmen ist legal, aber sensibel. Vermeiden Sie private Gespräche, fragen Sie nach, wenn Sie klare Interviews oder Portraits aufnehmen, und kennzeichnen Sie Ihren künstlerischen Zweck freundlich. In sensiblen Bereichen (Schulen, Krankenhäuser) ist besondere Rücksicht nötig.
Notizen und Reflexion
Nach jedem Walk schreibe ich sofort meine Eindrücke. Welche Klänge blieben haften? Welche Emotionen lösten sie aus? Manchmal skizziere ich parallel Bilder oder kurze Textfragmente — diese Assoziationen sind später der Rohstoff für Collagen oder Essays auf Nebl Nebl.
Bearbeitung: Aus Rohmaterial entstehen Klanglandschaften
Für die Nachbearbeitung nutze ich einfache Software wie Audacity (kostenlos) oder Reaper (sehr flexibel). Basisworkflow:
- Importieren und grobe Sortierung der Takes.
- Rauschentfernung und einfache EQ-Anpassungen.
- Schneiden und räumliche Anordnung: Lage der Klänge auf der Zeitachse schafft Narration.
- Hinzufügen von leichten Reverbs oder Delays, um Atmosphären zu formen (sparsam einsetzen).
- Export in MP3 für Web, WAV für Archiv.
Wenn ich für Nebl Nebl veröffentliche, kombiniere ich oft Field Recordings mit Standbildern oder kurzen Filmloops, die ich auf nebl-nebl.de einbette — so entsteht eine synästhetische Erfahrung, die Hören und Sehen verknüpft.
Ein paar Übungen für den Anfang
- Listen-30-Sekunden: Setzen Sie sich zwei Minuten still und notieren Sie fünf Geräusche, die Sie zuerst hören, dann fünf, die Sie nach einer Minute hören.
- Nah/Fern: Nehmen Sie ein Geräusch in zwei Distanzen auf — direkt daneben und 20 Meter entfernt — vergleichen Sie die Texturen.
- Material-Jagd: Suchen Sie gezielt nach einem bestimmten Klangmaterial (z. B. Metall, Wasser, Stimmen) und sammeln Sie kurze Takes.
Teilen und Feedback
Das Teilen ist ein Teil der Praxis. Ich poste Ausschnitte auf Nebl Nebl mit kurzen Gedanken und Bildern; Leser*innen kommentieren, erinnern oder liefern neue Perspektiven. Plattformen wie SoundCloud oder Bandcamp eignen sich gut für längere Klangstücke, Instagram für kürzere, visuelle Begleitungen.
Wenn Sie neugierig sind: Probieren Sie die beschriebene Route aus, passen Sie sie an Ihre Umgebung an und schreiben Sie mir gern auf nebl-nebl.de Ihre Erfahrungen. Manchmal entstehen aus solchen Spaziergängen die nächste Idee für ein Klangprojekt oder eine Fotostrecke — und immer wieder öffnet sich ein kleiner Moment, der alltägliche Dinge in neblig-schöne Klänge verwandelt.