Bildpoesie

Wie man Bildpoesie schreibt: drei Übungen für sinnliche Metaphern

Wie man Bildpoesie schreibt: drei Übungen für sinnliche Metaphern

Ich sitze oft mit einer Tasse schwarzen Tees und einem Stapel Fotografien auf dem Tisch, lasse Licht und Schatten über die Papierkanten wandern und frage mich: Wie klingt diese Aufnahme, wenn man sie in Worte übersetzt? Bildpoesie ist für mich genau dieses Übersetzen — nicht in ein eindeutiges Abbild, sondern in eine sinnliche Metapher, die Atmosphären erzeugt. In diesem Text teile ich drei Übungen, die ich selbst immer wieder mache, um sinnliche Metaphern zu finden und zu schärfen. Sie sind praktisch, unmittelbar und auf die Verbindung von Sehen und Hören, Gefühl und Sprache ausgelegt.

Warum Sinnlichkeit in Metaphern wichtig ist

Metaphern können vieles: erklären, verschleiern, verbinden. In der Bildpoesie geht es mir darum, die Distanz zwischen dem sichtbar Gemachten und dem inneren Erleben zu überbrücken. Eine sinnliche Metapher tut nicht bloß beschreiben — sie ruft eine Körperreaktion hervor. Sie lässt die Haut prickeln, das Herz langsamer schlagen, den Atem sich verändern. Dafür reicht oft ein Geruch, ein Geräusch oder eine Textur als Bildanker.

Ich habe gelernt, dass sinnliche Metaphern am stärksten sind, wenn sie aus konkreten, erfahrbaren Details kommen: das Knirschen von Kies unter den Sohlen, der metallische Nachgeschmack von Regen, die zarte Schwere eines Altglasbildes. Diese Details geben der Metapher Gewicht und Vertrauen. Die folgenden Übungen helfen dir, genau solche Details zu finden und in poetische, überraschende Verknüpfungen zu überführen.

Übung 1 — Die Synästhetische Inventur

Ziel: Deine Wahrnehmung transmodal trainieren — Sehen in Klang, Riechen in Farbe, Fühlen in Zeit übersetzen.

So gehe ich vor:

  • Wähle ein Bild oder eine kleine Serie. Es kann eine eigene Fotografie sein, ein Polaroid, ein Scan eines Fundstücks oder eine Seite aus einem alten Magazin.
  • Betrachte das Bild ohne fremde Worte für fünf Minuten. Notiere anschließend zehn sinnliche Eindrücke — nicht Worte über das Motiv, sondern Empfindungen: z. B. "schwer wie nasser Samt", "scharf wie Zitrusschale", "leise wie verschobene Möbel".
  • Nun frage dich: Welches Geräusch wäre dieses Bild? Welche Farbe würde dieses Geräusch haben? Welcher Geschmack? Schreibe jede Zuordnung als kurze Metapher auf, zum Beispiel: "Das Fenster klingt wie verfärbtes Glas, Zimt im Nachhall."
  • Wichtig ist, nicht nach Logik zu suchen. Synästhesie in der Bildpoesie lebt von überraschenden, manchmal widersprüchlichen Verknüpfungen. Ich habe oft Momente, in denen eine Aufnahme von einer verlassenen Haltestelle plötzlich "nach altem Holz und nassem Apfel" klingt — und genau diese Uneindeutigkeit eröffnet Raum.

    Übung 2 — Die Geräusch-zu-Bild-Umkehr

    Ziel: Die Aufmerksamkeit auf Textur und Rhythmus lenken, indem du rein auditiv beginnst und visuelle Metaphern daraus baust.

    So mache ich das:

  • Nimm eine kurze Klangaufnahme (dein Smartphone, field recorder, oder sogar eine Schallbibliothek wie Freesound). Gute Kandidaten sind: Regen auf Blech, Schritte auf Kies, eine entfernte Sirene, ein altes Radio-Prellton.
  • Höre die Aufnahme in einer ruhigen Umgebung mindestens dreimal an. Achte auf Takte, Schichten, Höhen, Pausen. Notiere bildhafte Eindrücke — nicht technisch, sondern sensorisch: "eine Falte aus Blech", "Stimmen wie Postkarten", "Schritte, die Schutt streichen".
  • Forme aus diesen Eindrücken eine Bildmetapher. Beispiel: Aus Regen auf Blech wird "Ein Kleid aus stählernen Nadeln, das an den Schultern der Nacht zupft." Verwende Adjektive und Verben, die die Textur und Bewegung des Klangs spiegeln.
  • Diese Übung verankert Metaphern im Rhythmus. Ich arbeite oft mit field recordings (Zoom H1n oder ein Smartphone reichen), weil rohe Klangtexturen weniger autobiografische Bildanker liefern und dadurch freier assoziiert werden können.

    Übung 3 — Die Objekt-Intervention

    Ziel: Ein alltägliches Objekt synästhetisch transformieren und daraus eine Bildzeile oder ein kurzes Poem bauen.

    So funktioniert es:

  • Wähle ein Objekt aus deinem Alltag: eine Teetasse, ein Stoffrest, ein verknautschtes Ticket, ein altes Fotoalbum.
  • Streiche los: Betrachte Form, Material, Gewicht, Temperatur. Lege das Objekt auf verschiedene Hintergründe (Fensterbrett, dunkler Samt, nackter Beton) und beobachte, wie sich seine Erscheinung verändert.
  • Finde eine Sinnesübersetzung: Welche Musik würde dieses Objekt spielen? Welche Jahreszeit ist es? Welches Körperteil stellt es dar? Schreibe zwei bis drei Metaphern mit je unterschiedlichen Sinnesfokussen (eine visuell, eine akustisch, eine taktil).
  • Ein Beispiel aus meiner Praxis: Ein zerknittertes Filmnegativ wurde zur "kleinen Landkarte, deren Flüsse in Mitternachtsfarben trocknen" — eine visuelle Metapher, die zugleich eine temporale und haptische Qualität vermittelt.

    Weitere Methoden und kleine Werkzeuge

    Man muss nicht alles analog machen. Ich nutze gern digitale Hilfsmittel, um neue Perspektiven zu erzwingen:

  • Tools wie Adobe Lightroom oder VSCO, um Farben zu verschieben und neue Farbstimmungen zu provozieren — oft entstehen Metaphern aus Farbverschiebungen.
  • Sound-Editoren wie Audacity, um eine Aufnahme rückwärts zu hören oder in Zeitlupe — das verändert sofort die bildhaften Assoziationen.
  • Ein kleines Notizbuch (bei mir: Moleskine), in das ich morgens drei Bildmetaphern schreibe, bevor der Tag kommt. Konsistenz baut ein Vokabular auf.
  • Wenn du diese Übungen regelmäßig machst, entsteht ein persönliches Repertoire an sinnlichen Metaphern — kleine Werkzeuge, die du bei Projekten, Publikationen oder Kooperationen einsetzen kannst. Auf Nebl Nebl geht es mir darum, diese Werkzeuge zu teilen und zu zeigen, wie Bild und Klang sich wechselseitig zu neuer Sprache zwingen können. Probiere die Übungen aus, kombiniere sie und schreibe mir gerne, welche überraschenden Verknüpfungen bei dir entstanden sind.

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