Ich sitze oft mit einer Tasse schwarzen Tees und einem Stapel Fotografien auf dem Tisch, lasse Licht und Schatten über die Papierkanten wandern und frage mich: Wie klingt diese Aufnahme, wenn man sie in Worte übersetzt? Bildpoesie ist für mich genau dieses Übersetzen — nicht in ein eindeutiges Abbild, sondern in eine sinnliche Metapher, die Atmosphären erzeugt. In diesem Text teile ich drei Übungen, die ich selbst immer wieder mache, um sinnliche Metaphern zu finden und zu schärfen. Sie sind praktisch, unmittelbar und auf die Verbindung von Sehen und Hören, Gefühl und Sprache ausgelegt.
Warum Sinnlichkeit in Metaphern wichtig ist
Metaphern können vieles: erklären, verschleiern, verbinden. In der Bildpoesie geht es mir darum, die Distanz zwischen dem sichtbar Gemachten und dem inneren Erleben zu überbrücken. Eine sinnliche Metapher tut nicht bloß beschreiben — sie ruft eine Körperreaktion hervor. Sie lässt die Haut prickeln, das Herz langsamer schlagen, den Atem sich verändern. Dafür reicht oft ein Geruch, ein Geräusch oder eine Textur als Bildanker.
Ich habe gelernt, dass sinnliche Metaphern am stärksten sind, wenn sie aus konkreten, erfahrbaren Details kommen: das Knirschen von Kies unter den Sohlen, der metallische Nachgeschmack von Regen, die zarte Schwere eines Altglasbildes. Diese Details geben der Metapher Gewicht und Vertrauen. Die folgenden Übungen helfen dir, genau solche Details zu finden und in poetische, überraschende Verknüpfungen zu überführen.
Übung 1 — Die Synästhetische Inventur
Ziel: Deine Wahrnehmung transmodal trainieren — Sehen in Klang, Riechen in Farbe, Fühlen in Zeit übersetzen.
So gehe ich vor:
Wichtig ist, nicht nach Logik zu suchen. Synästhesie in der Bildpoesie lebt von überraschenden, manchmal widersprüchlichen Verknüpfungen. Ich habe oft Momente, in denen eine Aufnahme von einer verlassenen Haltestelle plötzlich "nach altem Holz und nassem Apfel" klingt — und genau diese Uneindeutigkeit eröffnet Raum.
Übung 2 — Die Geräusch-zu-Bild-Umkehr
Ziel: Die Aufmerksamkeit auf Textur und Rhythmus lenken, indem du rein auditiv beginnst und visuelle Metaphern daraus baust.
So mache ich das:
Diese Übung verankert Metaphern im Rhythmus. Ich arbeite oft mit field recordings (Zoom H1n oder ein Smartphone reichen), weil rohe Klangtexturen weniger autobiografische Bildanker liefern und dadurch freier assoziiert werden können.
Übung 3 — Die Objekt-Intervention
Ziel: Ein alltägliches Objekt synästhetisch transformieren und daraus eine Bildzeile oder ein kurzes Poem bauen.
So funktioniert es:
Ein Beispiel aus meiner Praxis: Ein zerknittertes Filmnegativ wurde zur "kleinen Landkarte, deren Flüsse in Mitternachtsfarben trocknen" — eine visuelle Metapher, die zugleich eine temporale und haptische Qualität vermittelt.
Weitere Methoden und kleine Werkzeuge
Man muss nicht alles analog machen. Ich nutze gern digitale Hilfsmittel, um neue Perspektiven zu erzwingen:
Wenn du diese Übungen regelmäßig machst, entsteht ein persönliches Repertoire an sinnlichen Metaphern — kleine Werkzeuge, die du bei Projekten, Publikationen oder Kooperationen einsetzen kannst. Auf Nebl Nebl geht es mir darum, diese Werkzeuge zu teilen und zu zeigen, wie Bild und Klang sich wechselseitig zu neuer Sprache zwingen können. Probiere die Übungen aus, kombiniere sie und schreibe mir gerne, welche überraschenden Verknüpfungen bei dir entstanden sind.