Synästhesie ist kein technischer Trick, sondern eine Haltung: die Bereitschaft, Sinne zu überlappen, Verbindungen zuzulassen und Fremdes als Vertrautes zu hören. In meinen Fotoprojekten suche ich nicht nach der perfekten Abbildung, sondern nach Resonanzen — nach dem Moment, in dem ein Bild einen Klang hervorruft oder ein Ton eine Farbe. Hier teile ich drei Wege, wie ich synästhetische Eindrücke in fotografische Arbeit übersetze. Sie sind praktisch, oft einfach umzusetzen und bieten Freiraum für Experimente. Vielleicht inspirieren sie dich für dein nächstes Projekt auf Nebl Nebl oder anderswo.
Aufnahme als Gefäß: Feldaufnahmen und visuelle Reaktionen
Ich beginne oft mit Hörendem. Ein Ort, eine Stimme, das Rauschen eines Verkehrs oder der Atem eines Konzertsaals — all das sind Impulse, die mich visuell denken lassen. Statt zuerst die Kamera zu greifen, nehme ich mit einem einfachen Aufnahmegerät oder meinem Smartphone Klänge auf. Oft nutze ich das Zoom H1n für saubere Field-Recordings; manchmal genügt das eingebaute Mikrofon des Telefons, wenn es eher um Atmosphäre als um technische Reinheit geht.
Wichtig ist die Haltung: Ich höre nicht darauf, etwas zu dokumentieren, sondern es zu empfangen. Welche Gestalt hat dieser Klang in mir? Ist er scharf und kantig oder weich und schwebend? Diese sensorische Beschreibung übersetze ich in fotografische Entscheidungen.
- Belichtung: Helle, überbelichtete Flächen für luftige, helle Klänge; starke Kontraste und harte Schatten für raue, percussive Elemente.
- Farbpalette: Kalte Blau- und Grautöne für weite, metallische Klänge; warme Ocker- und Rottöne für dichte, körnige Texturen.
- Motivwahl: Statische Motive, Langzeitbelichtungen oder Bewegungsunschärfe je nach Charakter des Klangs.
Bei einem Projekt in einem alten Industrieviertel habe ich zum Beispiel Metallklänge und klackernde Rollläden aufgenommen. Beim Fotografieren suchte ich Strukturen mit Rost und grobem Beton, setzte harte Seitenlichter und arbeitete mit hohem Kontrast — die Bilder fühlten sich dadurch wie die aufgenommenen Geräusche an. Anschließend legte ich die Fotos neben die Field-Recordings und ließ Freund*innen assoziativ reagieren. Ihre Beschreibungen halfen mir, Nuancen zu erkennen, die ich allein nicht registriert hatte.
Visuelle Partituren: Bildserien als Notation
Ein zweiter Weg ist die Arbeit mit Bildserien als Notation — ich schreibe quasi eine visuelle Partitur, die eine klangliche Struktur beschreibt. Die Idee ist, nicht ein einzelnes Bild mit einem Klang zu verbinden, sondern eine Abfolge zu schaffen, die eine temporale Entwicklung evoziert.
Ich beginne mit einer grundlegenden musikalischen Idee: Wiederholung, Crescendo, Pause, Dissonanz. Dann übertrage ich diese Struktur auf fotografische Elemente:
- Repetition: Serien ähnlicher Motive, subtile Variationen im Bildausschnitt oder in der Perspektive.
- Steigerung: Zunehmende Sättigung, verringerte Schärfentiefe oder Bewegung im Bildverlauf.
- Pause: Weißraum, Minimalaufnahmen, negative Flächen, die Stille darstellen.
Für eine kleine Serie habe ich das Thema "Atmen" visualisiert: Zwei Anfangsbilder — weit, luftig — gefolgt von Bildern mit zunehmender Nähe und Textur (Haut, Stoff, geöffnete Münder), dann ein Bild mit geschlossener, dunkler Fläche als Atemstopp, schließlich ein zurückkehrendes, mäßig offenes Bild. Diese visuelle Partitur hat Hörern und Betrachtern geholfen, einen inneren Rhythmus zu erleben, obwohl kein Ton gespielt wurde.
Praktisch arbeite ich oft in Lightroom oder Capture One, um die serielle Kohärenz in Farbe und Tonwerten zu sichern. Manche Serien profitieren außerdem von kleinen Textinserts — kurze, poetische Notizen oder Frequenzangaben — die als Brücke zwischen Bild und Ton fungieren.
Mischformen: Multimediale Collagen und Installationen
Der radikalste Schritt ist die Kombination von Bild und Ton in situ — nicht nur nebeneinander, sondern verschränkt. Das kann eine einfache Projektion mit Soundsystem sein oder eine komplexere Installation mit Sensoren, die Bilder und Klänge in Echtzeit verknüpfen.
Für meine Arbeiten verwende ich gelegentlich Ableton Live, um Field-Recordings zu bearbeiten, und Ableton Link, um Bild- und Tonsequenzen zu synchronisieren. Mit kleinen Mikrocontrollern wie dem Arduino oder mit Kinect-Sensorik lassen sich interaktive Elemente realisieren: Ein Betrachter nähert sich, die Lautstärke steigt, das Bild wird klarer; zieht er sich zurück, verschwindet das Bild in Nebel.
Ein Projekt mit einer Tänzerin verband live bearbeitete Stimmen mit Projektionen ihrer Bewegungen. Ich filmte in mittlerer Auflösung, reduzierte die Farben in Echtzeit und legte die Bildsignale als visuelle Filter über eine Klangspur, die ich live manipulierte. Die Verbindung von Bewegung, Ton und Bild erzeugte synästhetische Augenblicke, bei denen das Publikum kaum noch zu unterscheiden wusste, ob es zuerst gehört oder gesehen hatte.
Wichtige praktische Hinweise für multimediale Arbeiten:
- Testet die Raumakustik: Ein Bild kann in einem halligen Raum anders "klingen" als in einem trockenen Studio.
- Berücksichtigt die technische Redundanz: Backups, doppelte Projektoren/Lautsprecher, stabile Anschlusskabel.
- Denkt an die Zugänglichkeit: Beschreibungen für hör- oder sehgeschädigte Besucher*innen erweitern die synästhetische Erfahrung.
Alltägliche Übungen zur Schulung der synästhetischen Wahrnehmung
Synästhesie lässt sich trainieren. Drei einfache Übungen haben mir sehr geholfen, meinen "Sinne-Mix" zu schärfen:
- Tägliche Assoziationsliste: Schreibe jeden Abend fünf Geräusche des Tages und assoziiere zu jedem eine Farbe, eine Form und eine Textur.
- Blindshooting: Fotografiere mit geschlossenen Augen oder mit minimaler Sicht — die resultierenden Bilder zwingen dich, stärker auf Klänge und Körpergefühl während der Aufnahme zu achten.
- Cross-Feedback: Lege einem Musikstück eine Bilderreihe gegenüber und notiere, wie sich dein Hören verändert, wenn du die Reihenfolge der Bilder veränderst.
Diese Übungen sind simpel, aber wirksam: Sie öffnen kleine Türen zwischen den Sinnen und machen synästhetisches Arbeiten im Alltag praktikabel.
Auf Nebl Nebl teile ich solche Experimente regelmäßig — oft als Rückblick auf gescheiterte Versuche genauso wie auf gelungene Momente. Wenn du eines dieser Formate ausprobieren willst, schreib mir gern: Ich tausche Ressourcen, Presets und Notationen und freue mich über Kollaborationen, bei denen Klang, Bild und Gefühl tatsächlich miteinander atmen.